UNTER LEUTEN
Silke Z. feat. diverse bodies
Grundlegende Fragen
Wohin geht die Reise des Tanzes? Wie wirkt sich die Beteiligung diverser Menschen an künstlerischen Produktionsprozessen auf die Weiterentwicklung des zeitgenössischen Tanzes aus?
Diese Fragen treiben Silke Z. seit mehr als zwei Jahrzehnten an:
„Ich empfinde eine große Lücke zwischen dem, was Tanzkunst erreichen könnte und dem, was sie tatsächlich erreicht. Ich wünsche mir eine Veränderung und glaube daran, dass wir als Künstler:innen einen Schritt aus der Kunstblase machen, uns öffnen müssen, um Menschen kollaborativ an unseren kreativen künstlerischen Prozessen zu beteiligen. Meine künstlerische Arbeit, Tanzsprache und Ästhetik soll sich dahingehend weiterentwickeln, dass Menschen sich dort nicht nur in Repräsentation wiederfinden, sondern darin vorkommen und der Tanz ihre Belange, Körper und Bewegungen erfasst und zurückspielt!“ – Silke Z.
Künstlerische Arbeitsweise
Silke Z. arbeitet im Projekt UNTER LEUTEN mit einem Kernensemble aus sechs Tänzer:innen, die sich in Alter , Ability und Tanzbiografie unterscheiden. Im Laufe des Projektes erweitert sich das Kernensemble um Menschen aus Stadt- und Landgesellschaft zu einer MIXED-Professional Company. UNTER LEUTEN strukturiert sich in einer Pendelbewegung zwischen Stadt und Land, in der das Ensemble die gewohnte Komfortzone verlässt. Thematischer Kern des Projekts ist die Sichtbarkeit und Einzigartigkeit unterschiedlicher Körper im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft. Konzipiert als Kampagne für Tanz und diverse Körper, arbeitet das Ensemble in Laboren choreografisch mit Menschen aus Stadt und Land (sog. Alltagsexpert:innen). Die individuellen Perspektiven der Tänzer:innen und deren Aushandlungsprozesse sind konstitutiv für das Projekt. Sie werden in Stadt und Land kollaborativ um Perspektiven und Bewegungsqualität von Alltagsexpert:innen (Bürger:innen) erweitert. Nach dem Motto Not about Us without Us featured Silke Z. diverse bodies und macht sie auf einer mobilen Bühne im öffentlichen Raum und im Theaterraum sichtbar.
UNTER LEUTEN forciert die kollaborative Entwicklung einer Tanzsprache, die verbindet, altersgemischt und inklusiv ist und den Anfang der Auflösung dessen markiert, was gemeinhin als Elfenbeinturm bezeichnet wird.
Konzeptionelle Grundlage
Ausgangspunkt für den konzeptionellen Ansatz ist dabei die Entdeckung von Unterschieden als Quell individueller Bedürfnisse. Diese Unterschiede offenbaren sich in Alter, Fähigkeiten, Einschränkungen (Disability), Herkunft, Geschlecht, Status, Kultur und anderen Facetten der jeweils persönlichen Ausprägung. In der tänzerischen Exploration von Empathie waren sie eher subtiler Bestandteil, jetzt rückt die Frage nach der Sichtbarmachung von Unterschieden und den potenziellen Einflüssen dieser auf die Bewegungssprache einer professionellen Tanz-Company in den Fokus des Interesses.
Wie äußert sich die Einzigartigkeit von Individuen körperlich? Wie viel dieser einzigartigen Bewegungssprache wird tatsächlich choreografisch sichtbar? Und was bedeuten diese Erkenntnisse und Fragen für die künstlerische Arbeit eines Tanzensembles, für das Verhältnis von Kunstproduzierenden zum Publikum, für Partizipation, Teilhabe und Diskurs?
Sichtbarkeit verstehen die Choreografin und ihr Team als politische Dimension, die in normierender Wechselwirkung von Wissen und Macht entsteht, gesellschaftlich ungleich verteilt ist und Zugehörigkeiten verhandelt.
Künstlerische Produktion
UNTER LEUTEN_You’re so fucking special (AT) In der ersten Produktion You´re so fucking special legen Z. und Company ihren Fokus auf den einzelnen Menschen. Welchen Raum hat Individualität im Kontrast zu den Vielen, die die Kriterien für Einzigartigkeit oft stereotyp und bewertend definieren?
UNTER LEUTEN_They’re so fucking many (AT) Die zweite Produktion fokussiert das Phänomen der Vielen und der Verschmelzung des Individuellen mit diesen. In der tänzerischen Auseinandersetzung stehen die Fragen nach den körperlichen Effekten von Zugehörigkeit und Selbstauflösung und den Formen von Massenbewegungen im Mittelpunkt.
DER EMPATHISCHE KÖRPER
Silke Z. & die metabolisten
Die Tanz- und Performance-Kompanie Silke Z. und die metabolisten mit Sitz in den ehrenfeldstudios, plant für die Jahre 2020 bis 2023 ein interdependentes, interdisziplinäres, künstlerisches Projekt an der Schnittstelle von künstlerischer Produktion mit Profis, künstlerischer Forschung mit der Generation Ü 60 und künstlerischer Vermittlung an die Generation U 20 und Lehrer*innen an Schulen. Unter dem Konzepttitel „Der empathische Körper“ spielt dabei eine wesentliche Rolle, eine permanente, verknüpfende Durchdringung der drei Ebenen des Projekts als gesamtkünstlerische Praxis miteinander herzustellen und so eine intergenerationelle, vermittelnde, forschende und produzierende Feedbackschleife im Gesamtprozess zu generieren, die dergestalt jeweils aufeinander wirken und Einfluss nehmen. Nichts Geringeres als ein intergenerationelles, holistisches Gesamtkunstwerk aus Forschung, Vermittlung, Fortbildung und künstlerischer Produktion zu erschaffen, das dem Anspruch genügt, gesellschaftsrelevante künstlerische Forschung und Vermittlung zu betreiben und in anspruchsvolle, zeitgemäße Produktionen von Bühnenwerken münden zu lassen, ist das Ziel.
Künstlerische Produktion
Empathie ist ein evolutionäres Phänomen, das in einem entwicklungspsychologischen Kontext weitreichend beschrieben ist (Stichwort: Spiegelneuronen). Aber Empathie ist kein universeller Solidaritäts-Klebstoff, wie uns therapeutische Konzepte gerne nahelegen wollen. Sie ist ein genetisch-neuronales Konzept, sie ist die Antwort auf die Frage nach der bestmöglichen Überlebensstrategie. Gruppenübergreifend kann sie gerade darum auch eine Bedingung für Konflikte und delinquentes Verhalten sein. Als multidimensionales Konstrukt ist Empathie noch wenig weitreichend verstanden.
Zu viele Ideologiebrüche durchziehen unsere Gesellschaft. Eines der Grundprinzipien westlicher Erziehung lautet Konkurrenz. Ihr pädagogischer Imperativ hingegen Achtsamkeit. Dieser unselige und widersprüchliche Ideologie-Cocktail erzeugt einen hochgradigen Authentizitäts-Stressor. Empathie mit sich selbst wird zur Zwickmühle. Empathie mit anderen ebenso.
Empathie ist Arbeit. Ihrer habhaft zu werden bedeutet ein tägliches Ringen um ihre Anwesenheit. Ein Kampf, der geführt werden muss, wenn wir als Gemeinschaft überleben wollen. Die Bedingungen sind gesät: Empathie transportiert sich über Sprache ebenso wie über die Annäherung unserer Körper. Um der Flüchtigkeit, um der Verletzlichkeit ihrer Anwesenheit zu begegnen, um die Rufe nach ihr nicht allein den Moralaposteln des sogenannten guten Lebens zu überlassen und um ihrer Gefährdung durch die ungefilterten Einflüsse digitaler Verheißungen zu begegnen, müssen wir zu neuen Definitionen und Verhaltensweisen kommen. Das geht nur, wenn wir uns darauf einlassen, dass Empathie der Schlüssel für reale Veränderung ist. Jenseits aller schnelllebigen Lippenbekenntnisse zu Solidarität, die außer einem schulterklopfenden Common Sense über unsere angeblich aufgeklärten und humanistisch geprägten Leben kaum echte, empathische Wirkung entfalten. Wir wollen mit unserer praktisch-künstlerischen Arbeit, unseren kreativen Methoden und künstlerischen Perspektiven einen Beitrag zu Fragestellungen rund um den Empathiediskurs leisten und im Rahmen unseres vielschichtigen Konzeptes erleb- und erfahrbar machen.
Die kommenden Projekte von Silke Z. und »die metabolisten« werden Empathie und ihre Bedeutung für uns als Individuen wie auch als Gemeinschaftswesen intergenerationell in Bewegung befragen und erforschen und ihre Fragwürdigkeit an signifikanten Beispielen ihrer Widersprüchlichkeit ausloten.
2020 entsteht die Bühnenproduktion WIR. Im Jahr 2021 das Stück Liebe ist…prime! eine Produktion zum Thema Sprache und Empathie und im Jahr 2022 Play! zum Thema Interaktion und Empathie und 2023 Mein…stream zum Thema Medien und Empathie.
Künstlerische Forschung
Im Rahmen der künstlerischen Forschung soll gezielt mit älteren Menschen der Generation Ü 60 an relevanten Forschungsfragen zum Thema Empathie gearbeitet werden. Bewusst werden in Forschung und auch Vermittlung die Generationen separiert, um später das generierte Material in der Bühnenproduktion intergenerationell aufzuarbeiten. Als „Botschafter“ fungieren Ensemblemitglieder*innen, die in den Forschungslaboratorien und in den Vermittlungsworkshops arbeiten und die Ergebnisse in die Bühnenproduktionsprozesse einfließen lassen. Die künstlerische Forschung bewirkt gleichzeitig eine Erweiterung der Fragestellungen, sowie eine Erweiterung des Personenkreises, der sich – wenn auch indirekt – an der Bühnenproduktion beteiligt und ein tiefgreifenderes Arbeiten ermöglicht.
Laien und Semiprofessionelle forschen und bieten andere Perspektiven auf unser Thema. Die Motivation hierfür liegt in dem Wunsch, nicht länger nur als exklusive Expertengruppe aus dem Elfenbeinturm der „Kunstwelt“ zu produzieren, sondern Brücken zwischen Künstler*innen und Gesellschaft, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Künstler*innen und Zuschauer*innen und zwischen Menschen und Kulturen zu bauen, um so die künstlerische Praxis stärker in der Mitte der Gesellschaft zu verankern.
Wenn wir mit Materie in Berührung kommen, beginnen wir anders zu denken und produzieren gemeinsam ein anderes Wissen (Barbara Bolt, 2007).
Künstlerische Vermittlung
Das Vermittlungskonzept basiert zentral auf der Transferierung choreografischer Methoden zum Thema Empathie, die in Workshops und Fortbildungen an Schüler*innen und Lehrer*innen in Schulen in Köln und NRW sowie in München vermittelt werden. Das Vermittlungskonzept impliziert außerdem die Teilhabe an Proben während des künstlerischen Produktionsprozesses und bei Aufführungen. Im Rahmen des gesamtkünstlerischen Konzepts wird so mithilfe der Begriffe Empathie, Abstand, Nachahmung und Manipulation der alltägliche Umgang mit (Körper-) Empfindungen gesucht. Kinder (ab 10 Jahre), Jugendliche und Lehrer*innen bekommen in Workshops und Fortbildungen die Möglichkeit, in reflexiven und kreativen Prozessen Empathie zu erfahren und eine Sensibilisierung für sich selbst, das Gegenüber und die Gemeinschaft zu entwickeln. Der Prozess der Vermittlung wird begleitet von ausgewählten Ensemblemitgliedern, deren gewonnene Erfahrungen werden in den künstlerischen Produktionsprozess integriert, so dass die Vermittlungsarbeit „junge Perspektiven“ auf die Thematik wirft, welche wiederum vom intergenerationellen Ensemble aufgegriffen und zu Bühnenproduktionen performativ verarbeitet werden. Schüler*innen sind außerdem eingeladen den professionellen Probenprozessen beizuwohnen und sich an der Materialentwicklung (Bewegung und Texte) zu beteiligen. So steht die Generation U 20 dem künstlerischen Team „beratend“ zur Seite und wird dadurch Teil des kreativ-künstlerischen Outputs.
Das Gesamtkonzept ist überregional vernetzend angelegt und wird koproduziert von dem jungen Schauspielhaus Bochum und der Organisation Fokus Tanz e.V., welche Tanzstücke für ein junges Publikum produziert und richtet das biennale Festival Think Big! in München aus.
Außerdem wird das Projekt vom Albertus-Magnus Gymnasium, Köln, der Ruhr-Universität, Bochum (Szenische Forschung) und den ehrenfeldstudios e.V. unterstützt.
PREMIERE | WIR
19. November 2020 | 20 Uhr
Alte Feuerwache, Köln
weitere Aufführungen
20. / 21. November 2020 | 20:00 h Alte Feuerwache, Köln
03. / 04. / 05. Dezember 2020 | 20:00 h ehrenfeldstudios, Köln
Das Gesamtkonzept wird unterstützt von folgenden Partnern:
Koproduktion: Fokus Tanz e.V. / Think Big! Festival München
Kooperation: Junges Schauspielhaus Bochum, Albertus-Magnus Gymnasium Köln, Ruhr-Universität Bochum, Deutsche Sporthochschule Köln, ehrenfeldstudios e.V.
Gefördert durch das Land NRW im Rahmen der 3 jährigen Konzeptionsförderung und die Stadt Köln im Rahmen der mehrjährigen Projektförderung.